Die #DDR neu denken?!

Eine Veranstaltung der Emanzipatorischen Linken Berlin am Freitag, den 24. Februar ab 19:00 Uhr im Karl-Liebknecht-Haus,  Rosa-Luxemburg-Saal

Die Vielzahl der Reden auf Gedenkveranstaltungen zur SED-Diktatur wie auch der Wortmeldungen im „Fall Holm“ haben gezeigt, dass wir im Kontext mit der DDR bis heute über keinen praktikablen Herrschaftsbegriff verfügen. Dabei hat es an Vokabeln nicht gefehlt: Unrechtsstaat, Parteidiktatur, Homunculus sovieticus oder autoritärer Fürsorgestaat. Doch keine dieser Bezeichnungen hat sich durchgesetzt, ist von der Mehrheit der Leute, die in der DDR gelebt haben, angenommen worden. Wir können sagen, worum es sich beim Kaiserreich gehandelt hat, bei der Weimarer Republik und auch beim Dritten Reich. Zur DDR aber fehlen uns die Worte. Denn was auch immer man dem SED-Staat vorwerfen kann, er war an keinem Angriffskrieg und an keinem Völker- und Massenmord beteiligt.

Die Debatte um Andrej Holm hat gezeigt, dass eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR immer noch nötig ist. Eine Auseinandersetzung, jenseits von Verteufelung und Heroisierung. Ein dritter weg der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR sozusagen. Ist es an der Zeit, die DDR neu zu erzählen? Ohne dass Staat und Gesellschaft gleichgesetzt, nicht verklärt und schon gar nicht dämonisiert werden.

Um uns an diesen dritten Weg – die DDR neu zu denken – heran zu Tasten Laden wir euch ein, Gemeinsam mit

Ellen Brombacher (Mitglied des Bundessprecherrats der Kommunistischen Plattform in der Partei Die Linke)

Karsten Krampitz (Historiker, Mitglied der Ema.Li Berlin)

Dietrich Peter Otto Mühlberg ( Kulturwissenschaftler, Mitbegründer des Fachs Kulturwissenschaft in der DDR und emeritierter Professor der Humboldt-Universität Berlin)

unter der Moderation vom

Sandra Beier (Mitglied des Ko-Kreis der  Emanzipatorischen Linken in der Partei Die Linke)

Oliver Höfinghoff (Mitglied des Ko-Kreis der  Emanzipatorischen Linken in der Partei Die Linke)

an diesem Abend im Karl-Liebknecht-Haus zu Diskutieren.

 

Die #DDR neu denken?!

Seit dem 3. Oktober 1990 gehört die Deutsche Demokratische Republik endgültig der Geschichte an. Wie Hermann Weber im Vorwort seiner „Geschichte der DDR“ konstatiert, war dieses Land nur eine historische Episode. Doch einschließlich seiner Vorgeschichte als Sowjetische Besatzungszone hat es mit seinen über 45 Jahren fast so lange existiert wie das deutsche Kaiserreich (1871 bis 1918) und erheblich länger als die vierzehnjährige Weimarer Republik und die zwölfjährige NS-Diktatur.[1] Und ebenso wie die BRD war auch die DDR eine Folge der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Mit ihrem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes hat die DDR die Bundesrepublik grundlegend verändert. Was wir heute sind, sind wir geworden; die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im 20. Jahrhundert ist ohne Kenntnis von der Existenz des anderen deutschen Staates und seiner Geschichte nicht wirklich zu verstehen. Doch Geschichte, wie sie sich tatsächlich abgespielt hat, ist immer schwieriger und komplizierter als der Wille zur Erinnerung.

 

Ein Blick auf den Veranstaltungskalender der „Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur“ zeigt eine Erinnerungslandschaft mit DDR-typischen Fund- und Leerstellen: Dem Mauerbau wird gedacht, dem Mauerfall wie auch den verschiedenen Ausreise- und Flüchtlingswellen. Desgleichen von Interesse sind der 17. Juni 1953, die Biermann-Ausbürgerung 1976, die ersten freien Volkskammerwahlen in der Umbruchszeit 1989/90 usw. Dem ganz normalen Alltag der „kleinen Leute“ wird hingegen erheblich weniger Beachtung geschenkt, gleichwohl die übergroße Mehrheit derjenigen, die in der DDR gelebt haben, ein völlig „normales“ Leben geführt haben und womöglich nie mit den politischen Verhältnissen in Konflikt geraten sind. Diese Menschen, die weder Täter noch Opfer waren, finden sich in der offiziellen Erinnerungspolitik kaum oder gar nicht wieder. Dabei gehört das Bewusstsein von der eigenen Geschichte zur menschlichen Identität; ist dieses Bewusstsein gestört, nimmt auch die Identität des Einzelnen Schaden. Ein Leben, das in seiner Gänze nicht erzählt werden kann, macht den Menschen krank.

Die Vielzahl der Reden auf Gedenkveranstaltungen zur SED-Diktatur wie auch der Wortmeldungen im „Fall Holm“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im Kontext mit der DDR bis heute über keinen praktikablen Herrschaftsbegriff verfügen. Dabei hat es an Vokabeln nicht gefehlt: Unrechtsstaat, Parteidiktatur, Homunculus sovieticus oder autoritärer Fürsorgestaat. Doch keine dieser Bezeichnungen hat sich durchgesetzt, ist von der Mehrheit der Leute, die in der DDR gelebt haben, angenommen worden. Wir können sagen, worum es sich beim Kaiserreich gehandelt hat, bei der Weimarer Republik und auch beim Dritten Reich. Zur DDR aber fehlen uns die Worte. Denn was auch immer man dem SED-Staat vorwerfen kann, er war an keinem Angriffskrieg und an keinem Völker- und Massenmord beteiligt. Die Geschichte der DDR unterlag immanenten Bedingungen, wurde aber gleichzeitig auch von äußeren Faktoren bestimmt. Der Kalte Krieg hatte selbstredend Einfluss auf den Alltag in der DDR, ebenso die Ölkrise 1973. Die ideologischen Entwicklungen und Verrenkungen der KPdSU – bis hin zur Perestroika unter Gorbatschow – wirkten tief hinein in die Gesellschaft (Stichwort: Kulturpolitik).

 

Die DDR war eine politische Diktatur, aber nicht nur. Adorno irrt: Es gibt ein richtiges Leben im falschen. Wo sonst? In Ostberlin, Gera oder Rostock wurde genauso Brot gebacken, wurden Häuser gebaut, Alte und Kranke gepflegt wie in westdeutschen Städten. Vom Landleben ganz zu schweigen. Und auch in der DDR haben Eltern ihre Kinder geliebt, waren Menschen glücklich. Und dennoch hat es großes Unrecht gegeben. Die DDR schwankte zwischen Fortschritt und Dogmatismus, schreibt Hermann Weber, zwischen Modernität und kleinbürgerlichem Spießertum. Aber auch Weber, der Nestor der unabhängigen DDR-Geschichtsschreibung, muss zugeben: „Manche Reformen zielten auf Emanzipation. Es verschwanden alte Hierarchien und überholte Klassenstrukturen. Die Bewältigung der faschistischen Vergangenheit ist insgesamt gesehen erfolgt (…) Ansätze der Frauenemanzipation, Heranziehung der Jugend zu gesellschaftlicher Verantwortung, Sozialprestige der Arbeiter, fortschrittliches Gesundheits- und effizientes Bildungswesen sind ebenso wenig zu übersehen wie Grundzüge einer solidarischen Gesellschaft.“ [2] Auf der anderen Seite war die DDR eine Mangelgesellschaft. Es fehlte an vielem, bei weitem nicht nur materiell: kein Rechtsstaat, keine Gewaltentrennung. Grundlegende Freiheits- und Bürgerrechte wie Presse-, Versammlungs- und Reisefreiheit etc. blieben den DDR-Bürgern versagt. Nahezu jeder kleine Nonkonformismus wurde, sobald er den Bereich des Privaten verlassen hatte, früher oder später sanktioniert.

In den letzten 25 Jahren hat es zur DDR-Geschichte im Wesentlichen zwei getrennte Diskurse gegeben – Ankläger oder Apologeten des SED-Staats. Während die einen die Geschichte von ihrem Ende her erzählten und die DDR damit zugleich verdammten, ihren Zusammenbruch und die Unterdrückungsmechanismen betonten, begann die andere Seite ihre Erzählung mit der Staatsgründung. Die DDR erschien hier (mit Ausnahme der Arbeiten Hermann Webers) als Aufbauwerk ehrlicher Antifaschisten.

Der außerordentliche Eifer, mit dem beide Seiten argumentierten, ohne dass sich die Diskurse auch nur ansatzweise miteinander vermengten, lässt sich nicht allein mit einem Interesse an der Aufarbeitung erklären. Die Deutungshoheit zur DDR-Geschichte verspricht noch heute einen beachtlichen Stellungsvorteil im Ringen um die geistige Hegemonie im vereinten Deutschland. Die Arbeiten mancher Politikwissenschaftler, Theologen und Ex-Bürgerrechtler erinnern dabei nicht selten an das Schneidergewerbe, wo der Stoff solange aufgearbeitet wird, bis er denn endlich passt.

Allerdings hat es immer auch andere Ansätze gegeben, unlängst zum Beispiel Gunnar Deckers kulturhistorische DDR-Studie zum Jahr 1965.[3] Dabei kamen die Impulse für einen „dritten Weg“ ursprünglich aus der Sozialwissenschaft: Konrad H. Jarausch, damals noch stellvertretender Direktor des Duke Center for European Studies an der Universität North Carolina, forderte bereits 1995 von der Forschung, die DDR immer wieder neu zu denken.[4] Das zentrale Paradox bestünde darin, dass das Regime ohne die Mitarbeit der Bevölkerungsmehrheit nicht so lange hätte überleben können, das Gros der ‚einfachen Leute’ aber zugleich versuchte, ein Leben außerhalb der Reglementierung zu führen. „Die intellektuelle Herausforderung beim Aufarbeiten der DDR-Vergangenheit besteht (…) nicht in vorschneller Etikettierung, sondern im Ausloten dieser Doppelbödigkeit.“[5]

 

Dieser dritte Weg – die DDR neu zu denken – soll an diesem Abend im Karl-Liebknecht-Haus diskutiert werden. Ist es an der Zeit, die DDR neu zu erzählen? Ohne dass Staat und Gesellschaft gleichgesetzt, nicht verklärt und schon gar nicht dämonisiert werden.

 

[1]              Weber, Hermann: „Geschichte der DDR“, aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, München 1999, S. 7.

[2]              A.a.O., S. 10.

[3]              Decker, Gunnar: „1965. Der kurze Sommer der DDR“, München 2015.

[4]              Jarausch, Konrad H.: „Die DDR denken. Narrative Strukturen und analytische Strategien.“ In: Berliner Debatte. Initial. Zeitchrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs.“ Jahrgang 1995, Ausgabe 4/5, S. 9-15.

[5]              A.a.O. , S. 13.



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