Wider den Aufbau neuer Mauern! Eine Stellungnahme zum #Brexit

Von Anne Helm, Berlin, Oliver Höfinghoff, Berlin, Peter Laskowski, BaWü

Das Ergebnis des Referendums über den Verbleib Großbritanniens in der EU ist, unabhängig von den durchaus unterschiedlichen Motiven für eine Zustimmung zum #Brexit, ein überdeutlicher Sieg der Rechtspopulisten von UKIP und Teilen der Tory-Rechten. Ihnen ist es gelungen, die sozialen und gesellschaftlichen Frustrationen, von den Herrschenden auf den Inseln auf „die EU“ im Allgemeinen und Migrant*Innen sowie auf Geflüchtete im Besonderen zu lenken.

 

Folgen einer Hausgemachten rigide neoliberale Austeritätspolitik

 

Der Hintergrund, vor dem das Referendum stattgefunden hat, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Beginnend mit dem Thatcherismus, fortgeführt unter den folgenden konservativen und sozialdemokra­tischen Regierungen, wurde in Großbritannien über 30 Jahre lang eine rigide neoliberale Austeritätspolitik der Zerstörung sozialer und industrieller Strukturen wie nirgends sonst in der EU vorexerziert. Grade vor diesem Hintergrund ist es absurd unhistorisch, zu behaupten, die britische Arbeiterklasse hätte mit dem #Leave auch gegen die durch die EU vorgegebene Austeritätspolitik gestimmt. Diese ist in Großbritannien vor allem eines: Hausgemacht.
Auch darum wird sich, als Ergebnis des Referendums gar nichts an der Lage der britischen oder irgendeiner anderen Arbeiterklasse in der EU verbessern.
Die herrschende Klasse Großbritanniens wird sich vom Ergebnis der Abstimmung nicht in der Fortsetzung ihrer inner-britischen rigiden-neoliberalen Austeritätspolitik beirren lassen, hat sich doch nichts an den sozialen Kräfteverhältnissen geändert.

 

Leben in einem Paralleluniversum

Zu postulieren, die Volksabstimmung käme einem „Schlag gleich, der sich gegen die herrschende kapitalistische Klasse in Britannien richtet“ [1], erweckt den Eindruck, das die/der Schreibende in einem Paralleluniversum lebt. Denn genau das Gegenteil ist der Fall. Die herrschende Klasse Großbritanniens kann und wird weiter gut leben, ob Großbritannien nun formell Mitglied der EU ist oder nicht. Die Konzerne und die Banken in und außerhalb Großbritanniens bleiben die gleichen, am Kapitalismus in Großbritannien und der EU ändert sich nichts. Eine „Legitimationskrise des europäischen Kapitals“[2] sieht anders aus!
Wer heute schreibt, es sei möglich, dass „ein Britannien außerhalb der ‚Festung Europa‘ seine Freiheit nutzt, Menschen aus aller Welt willkommen zu heißen, um hier zu arbeiten, zu studieren und als sicherer Hafen für Asylbewerber und Flüchtlinge in Europa führend zu sein“[3], hat anscheinend die letzten Jahren auf einem anderen Planeten zugebracht. Das Leave beim #Brexit konnte auch deshalb erfolgreich sein, weil seine Protagonisten es mit einer rassistischen, flüchtlingsfeindlichen Kampagne gekoppelt haben. Es ging in hohem Maße darum, dass für viele Briten die „Festung Europa“ zu durchlässig ist und durch eine „Hochsicherheitsfestung Britannien“ ersetzt werden soll.
Die Rückkehr zum Nationalstaat ist keine linke Option und Nationalismus kein linkes Projekt. Es gibt keinen gemeinsamen Weg mit Rechtspopulist*Innen für eine Neugründung der EU. Noch weniger gibt es einen gemeinsamen Weg mit Rechtspopulist*Innen für eine Beseitigung der EU. Rechtspopulist*Innen wollen eine wirtschaftsliberale Zone von Nationalstaaten in Europa. Hier wird jede Solidarität in den Ländern und zwischen den Ländern und insbesondere mit den schwächsten Regionen in der Welt ausgeschaltet sein.

 

Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

 

Ein Weg zur Veränderung der EU muss die Aufhebung des Fiskalpaktes und ein Ende der Austeritätspolitik inklusive der Entschuldung der überschuldeten Länder umfassen. Es müssen Schritte zur Angleichung der sozialen Standards ergriffen werden. Dafür würde es sich lohnen zu kämpfen. Für uns gilt als Grundsatz, dass wir nicht gegen die EU und den Euro kämpfen, sondern gegen die neoliberale EU der Konzerne und Banken und eine neoliberale Währungspolitik. An der Suche nach Wegen heraus aus der EU und zurück zum Nationalstaat und einer nationalen Währungssouveränität werden wir uns nicht beteiligen.

„Gerade wenn man der Meinung ist, dass die Merkel-Politik mörderisch für die Peripheriestaaten ist, muss man sich doch wohl zuerst ‚Berlin‘ vorknöpfen, statt sich in ‚Brüssel‘ zu verbeißen, denn: Wenn man mit dem Finger auf Brüssel zeigt, weisen drei Finger zurück nach Deutschland. ‚Der Hauptfeind steht im eigenen Land!‘, wusste Karl Liebknecht schon vor hundert Jahren.“ [4]

„Deshalb unterstützen wir zwar Reformbestrebungen, aber wir sind uns sicher: Das wird nicht genügen. Ja, wir wollen die EU und keine Kleinstaaterei; wir wollen lieber eine vermurkste EU als einen vermurksten Nationalstaat. Aber am Ende des Tages wollen wir etwas viel Besseres!“ [4]

Gemeinsam mit den Genoss*Innen vom fds [5] wünschen wir, das DIE LINKE sich aktiv in die aktuellen Kämpfe für kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie kontinentweit im Rahmen der EU einbringt.

Es wäre langsam an der Zeit!

 

[1] Brexit ist ein Grund zur Freude https://www.sozialismus.info/2016/06/brexit-ist-ein-grund-zur-freude/

[2] Keine Zukunft für und mit EU http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=1390#more-1390

[3]Abgeschrieben: Stellungnahmen der britischen KP und der KPÖ Steiermark zur „Brexit“-Entscheidung https://www.jungewelt.de/2016/06-25/039.php

[4] „Wenn man mit dem Finger auf Brüssel zeigt, weisen drei Finger zurück nach Deutschland“ https://emanzipatorischelinke.files.wordpress.com/2014/02/stellungnahme-ema-li-europadebatte-2014.pdf

[5] ERKLÄRUNG DES FDS-BUNDESVORSTANDES ZUM BREXIT-REFERENDUM http://forum-ds.de/?p=1040


4 Kommentare on “Wider den Aufbau neuer Mauern! Eine Stellungnahme zum #Brexit”

  1. Ingrid Wiegel sagt:

    „Gemeinsam mit den Genoss*Innen vom fds wünschen wir, das DIE LINKE sich aktiv in die aktuellen Kämpfe für kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie kontinentweit im Rahmen der EU einbringt.“

    Warum habt Ihr ausschließlich das fds zitiert?

    Wenn Ihr Euren Text bei EmaLi veröffentlicht, und da Ihr gleichzeitig EmaLi-KoKreis seid, und dann nur das fds zitiert, wird EmaLi bald als Strömung des fds wahrgenommen werden. Diese Wünsche dürfte der überwiegende Teil aller LINKEN haben. Das fds hat darauf innerhalb der LINKEN keinen Alleinvertretungsanspruch.

    In vielen Punkten stimme ich Euch zu.

    Nicht verstehe ich allerdings, warum die Austeritätspolitik, wie sie die Menschen in GB trifft, in GB hausgemacht sein soll (und damit ja nationalstaatlich zu verantworten wäre!?!?), und warum die Austerität in GB in Eurer Analyse von der Austerität in den anderen EU -Staaten getrennt wird.

    Austeritätspolitik folgt den Kapitalinteressen und diese wirken EU-weit (weltweit genau genommen). Die ganze EU wurde und wird durch diese Kapitalinteressen geformt. Letztendlich beruht die Skepsis gegenüber der EU genau hier.

    Wenn man Euren Artikel liest, bekommt man den Eindruck, ihr wollt genau das bestreiten und dagegen an argumentieren. Und ihr würdet den Rassismus und Rechtspopulismus als ursächlich für die, nicht nur in GB, weit verbreitete EU-Skepsis ansehen. Das ist eine verkürzte Sichtweise. Faschistenn und Rassisten sind die politischen Profiteure, nicht die Ursache der Krise!

    Euren Artikel habe ich mit viel Interesse gelesen. Ich möchte Euch danken, dass Ihr bei EmaLi die Diskussion zum Thema Brexit und EU angeregt habt.

    • Hallo Ingrid ,

      „Gemeinsam mit den Genoss*Innen vom fds wünschen wir, das DIE LINKE sich aktiv in die aktuellen Kämpfe für kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie kontinentweit im Rahmen der EU einbringt.“ ist ein Wunsch von Anne, Oli und mir, mit dem wir unserer individuellen Hoffnung Ausdruck verleihen, das sich unsere Partei aktiv in Kämpfe einbringt.
      Ich kenne keine Strömung, die diesen Wunsch auch teilt. Wir haben im übrigen nicht ausschließlich das fds zitiert. Wir haben auch die akl und die SAV zitiert.
      Zum Brexit warte ich noch auf eine Stellungnahme der SL und ich glaube, das wir unseren Beitrag erweitern, wenn sie uns gefällt. Wenn nicht, dann nicht.
      Also, die Austeritätspolitik, wie sie die Menschen in GB trifft ist in GB erfunden worden. Darum ist sie hausgemacht. GB war das erste Land, wo sie durchexerziert worden ist, so ganz ohne EU.
      Stimmt, „Austeritätspolitik folgt den Kapitalinteressen und diese wirken EU-weit. Richtig ist auch, das die e EU durch Kapitalinteressen geformt wird. Wie auch anders. Alle Staaten der EU sind: Kapitalistische Staaten und: Kapitalistische Staaten können nur im Interesse von Kapitalisten handeln. Wo genau Argumentieren wir dagegen, das die EU ein den Kapitalverwertungsinteressen entgegengesetztes Konstrukt ist? Sehe ich nicht.

  2. Sergej sagt:

    Das Rechtsabweichler und Linksabweichler sich irgendwo im Opportunismus treffen ist in der Geschichte oft bewiesen worden. „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ war eine treffende Losung in der Zeit des ersten Weltkrieges, als sich die imperialistischen Mächte in einem Kampf um die Neuaufteilung der Welt in einem Krieg gegenüberstanden. Seit 1945 ist diese Losung in Bezug auf Deutschland jedoch offensichtlich falsch. Seit dem ist Wall-Street die führende imperialistische Macht und die BRD eines ihrer Halbkolonien und Lakaien. Das hat zum Beispiel Gysi in den letzten Monaten im Bundestag der Merkelregierung in vielen Fällen nachweisen können. Wo der Hauptfeind steht sollte daher klar sein.

  3. […] der Emanzipatorischen Linken wird die knappe Mehrheit der Brexit-BefürworterInnen als »überdeutlicher […]


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